Soziale und professionelle Institution im Quartier

Im Interview mit Oliver Seitz, Geschäftsführer

Der Verein Läbesruum bietet professionelle und anspruchsvolle Dienstleistungen wie beispielsweise Bau- und Malerarbeiten an. Gleichzeitig integriert er erwerbslose Menschen. Ist das kein Widerspruch?
Nein, aber eine grosse Herausforderung. Der Läbesruum garantiert hochwertige Dienstleistungen. Wenn sie unserem Baubereich die Erstellung einer Sichtbackstein-Mauer in Auftrag geben, so wollen sie diese perfekt ausgeführt haben. Auch bei Malerarbeiten in ihrem Haus erwarten Sie, dass alle Möbel und Böden sorgfältig abgedeckt werden und genau gearbeitet wird. Diese hohe Qualität erreichen wir durch eine enge Anleitung der erwerbslosen Personen. Unsere Gruppenleitenden sind gut ausgebildete Fachpersonen mit Berufserfahrung. Zudem sind einige unserer integrierten Personen ebenfalls Maler oder Maurer.

Warum finden diese Menschen keine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt?
Die Gründe sind sehr vielschichtig. Teilweise sind es psychische Erkrankungen, die eine regelmässige Arbeit und damit eine Anstellung verhindern. Andere Stellenlose gelten als zu alt oder sind nicht mehr genug schnell.
Einige erlitten einen Unfall oder eine Krankheit, welche sie zu einer beruflichen Neuorientierung zwingen. Andere wiederum haben Lücken in ihrem Lebenslauf oder sprechen noch zu wenig gut Deutsch. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie arbeiten möchten und mit einer fachkundigen Anleitung hochwertige Dienstleistungen erbringen können.

Was bedeutet das für mich als Kundin oder Kunde? Zahle ich entsprechend mehr als bei einer anderen Firma?
Benötigt jemand mehr Zeit, verrechnen wir einen tieferen Stundenansatz oder es wird vorgängig ein Pauschalpreis vereinbart. Der Läbesruum verrechnet marktübliche Preise. Wir sind im Schnitt nicht teurer, aber auch nicht günstiger. Über die Hälfte der bei uns beschäftigten Personen lebt vom Läbesruum-Lohn und bezieht damit keine Sozialhilfe.

Wie kommt der Läbesruum zu Aufträgen?
Meistens durch Empfehlungen von Nachbarn, Freunden und Bekannten. Unsere Kundschaft scheint somit mit der Qualität unserer Dienstleistungen sehr zufrieden zu sein. Zudem wird unsere soziale Arbeit gerne unterstützt. Schliesslich ist es eine tolle Sache, wenn ich meine Wohnung mit der gleichen Qualität und zum marktüblichen Preis neu streichen lasse und gleichzeitig erwerbslosen Menschen eine Arbeit gebe. Geschätzt wird auch, dass wir bereichsübergreifende Arbeiten aus einer Hand anbieten. So übernehmen wir Maurer- und Malerarbeiten oder erledigen die Umzüge samt allfälligen Entsorgungen und kümmern uns schliesslich auch um die Endreinigungen mit Abgabegarantie. Wir verfügen in allen Bereichen über hochwertige Maschinen, die uns eine kompetente Arbeit ermöglichen.

Wer kann im Läbesruum arbeiten?
Jede stellensuchende Person kann sich während der Bürozeiten am Empfang an der Pflanzschulstrasse 17 anmelden. Wir laden sie danach zu einer Info-Veranstaltung ein. Beim anschliessenden Erstgespräch interessiert uns, was jemand gut kann, worin er oder sie schon Erfahrungen hat und was die Person gerne bei uns arbeiten würde.

Nehmt ihr alle stellenlosen Personen bei euch auf oder gibt es Ausschlusskriterien?
Grundsätzlich ist jede erwerbslose Person bei uns willkommen. Wenn sie Arbeit wünscht, muss sie sich jedoch regelmässig bei uns am Empfang melden. Kommt sie zuverlässig und wir machen gute Erfahrungen mit ihr, erhält sie immer häufiger einen Auftrag.

Was sind das typischerweise für Aufträge?
In der Regel startet jemand bei den Hilfsarbeiten. Mögliche Aufträge sind beispielsweise Schnee schaufeln, jäten oder Rasen mähen. Die äusserst flexiblen Einsätze werden auch von Firmen geschätzt, wenn sie stunden- oder tageweise zusätzliches Personal benötigen. Dies ist häufig der Fall, wenn ein Mitarbeiter krankheitshalber ausfällt oder wenn grössere Aufträge anstehen. Baufirmen setzen unsere Mitarbeitenden gerne für Tragarbeiten ein. In der Gastronomie können wir für besondere Events zusätzliches Personal organisieren. Für das Sprachrohr dürfen wir die Zeitungen verteilen. Da wir für die verschiedenen Hilfsarbeiten auf ca. 200 Personen zurückgreifen, finden wir für fast jeden Auftrag jemanden mit den passenden Fähigkeiten.

Was aber, wenn eine erwerbslose Person noch zu wenig zuverlässig oder leistungsfähig für die erwähnten Aufträge ist oder nicht gut genug Deutsch spricht?
Für diese Personen bieten wir innerhalb des Läbesruums Beschäftigungen an. Eine Möglichkeit ist unser öffentliches Restaurant Eulachstrand an der Pflanzschulstrasse 17. Hier werden die Personen von agogisch geschulten Gruppenleiterinnen in der Küche, dem Service und der internen Reinigung angeleitet. Von Montag bis Freitag gibt es in unserem Restaurant ein Mittagessen mit Salat, Suppe, Hauptgang und Dessert für nur CHF 16.–. Jeden ersten und zweiten Freitagabend kann man bei uns ein orientalisches Buffet geniessen. Wanda, unsere syrische Köchin, stellt authentische und sehr feine Mezze her.

Die meisten Beschäftigungsplätze bieten wir auf unserem Hof in Oberohringen an. Unser frisches Gemüse liefern wir in Form eines Abos wöchentlich in Winterthurer Haushaltungen aus. Sehr geschätzt wird auch unser Recycling-abo. Alle zwei Wochen holen wir die vollen Blachentaschen mit einem Elektrofahrzeug bei der Kundschaft ab: Glas, Blech, Plastik, Batterien, altes Brot und vieles mehr kann darin gesammelt werden. Wir spalten zudem Brennholz aus der Region in verschiedene Grössen. Dieses liefern wir aus und stapeln es, am vom Kunden
gewünschten Ort.

Ich stelle mir vor, dass eine sinnhafte Arbeit sich sehr positiv auf die erwerbslosen Menschen auswirkt.
Absolut – es ist unser Ziel, mit allen Produkten und Dienstleistungen nahe am ersten Arbeitsmarkt zu sein. Dienstleistungen zu erbringen, die nachgefragt werden, schenkt Selbstbestätigung. Und die positiven Feedbacks der Kundinnen und Kunden stärken das nicht selten angeschlagene Selbstvertrauen.

Wie sieht die Förderung im Läbesruum konkret aus?
Gerne kann ich die Geschichte von Adrian erzählen. Aus gesundheitlichen Gründen verlor er den Job und war auf Sozialhilfe angewiesen. Er startete bei uns im Beschäftigungsprogramm Läbesknospe. Eine Lehre, das war
Adrians Ziel. Doch viele trauten ihm dies nicht zu. Denn Adrian war bereits über dreissig Jahre alt und hatte seine erste Lehre abgebrochen. Wir glaubten an Adrian. Schon bald schaffte er bei uns den Sprung in den Fachbereich Bauarbeiten, und mit Hilfe des Jobcoachings fand Adrian eine Lehrstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt. Heute ist er bereits im zweiten Lehrjahr und es läuft gut.
Wichtig ist uns eine ganzheitliche Unterstützung durch unsere Sozialarbeitenden. Sie helfen im Kontakt mit den Behörden, bei der Suche nach einer Wohnung oder in finanziellen Notlagen. Dank privaten Spenden in unseren Taglohnfonds können wir Ausbildungen mitfinanzieren oder in finanziellen Notlagen aushelfen. Denn einige unserer Mitarbeitenden leben am Existenzminimum. Unerwartete Kosten für ein Ferienlager fürs Kind oder eine Notfallbehandlung beim Zahnarzt führen ohne Beitrag aus dem Taglohnfonds schnell zu einer finanziellen Notlage.

Wofür werden Spenden an den Läbesruum sonst noch eingesetzt?
Zum Beispiel fürs Jobcoaching und für unsere Deutschkurse. Mit dem
Jobcoaching befähigen wir unsere Mitarbeitenden, den Schritt in den ersten Arbeitsmarkt zu machen.

Bietet ihr auch Lehrstellen an?
In unseren Fachbereichen sind EFZ- und EBA-Lehren möglich. Diese sind für Personen gedacht, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Lehrstelle finden und die aus unserer Sicht aber das Potenzial für eine Ausbildung haben.

Ihr bietet auch Arbeiten im Gartenbau und -unterhalt an. Was macht ihr in diesem Bereich eigentlich im Winter?
Wenn der Boden hart, gefroren oder sogar schneebedeckt ist, hinterlassen Arbeiten im Garten weniger tiefe Spuren. Es ist die ideale Zeit, Bäume und Sträucher zu schneiden. Ist der Boden nicht gefroren, dann ist der Winter sehr geeignet für Belagssanierungen, beispielsweise bei Wegen oder Sitzplätzen. Trotz dieser Vorteile denken viele erst mit den steigenden Temperaturen im Frühling wieder an den Garten. Dann kommen wir mit der Arbeit jeweils kaum noch nach. Im Gegensatz zum Winter. Da wären wir um mehr Aufträge froh – nicht nur für Gartenarbeiten, sondern ganz generell.

Das Angebot des Läbesruums ist sehr vielseitig!
Wir haben uns bewusst für eine breite Palette an Dienstleistungen entschieden, um die stellensuchenden Menschen passend nach ihren Fähigkeiten einsetzen zu können. Für unsere Kundschaft ist es aber gar nicht so einfach, einen Überblick zu erhalten. Neben den bereits erwähnten Angeboten übernehmen wir bei etwa 100 Liegenschaften die Hauswartungen. Und in über 130 privaten Haushaltungen und Büros reinigen wir wöchentlich oder alle zwei Wochen. Dass sämtliche Sozialversicherungen und Lohnauszahlungen an die Putzhilfen über uns laufen, schätzt unsere Kundschaft sehr. Eine sehr grosse Nachfrage haben wir auch für unsere spannenden und vielseitigen Integrationsplätze im Sekretariat, der Buchhaltung und im Empfang.
Eine gute Möglichkeit unser Angebot kennen zu lernen, ist übrigens an unserem Tag der offenen Tür.

Genau, ihr feiert dieses Jahr euer 30-jähriges Jubiläum. Kannst du uns mehr dazu erzählen?
Am Tag der offenen Tür können unsere Gäste uns und unsere Bereiche richtig erleben, indem sie beispielsweise mit einem Sitzrasenmäher einen Parcours fahren, mit einem Bagger Holzschnitzel verschieben, mit einer Hebebühne hoch in die Luft fahren oder Kräuter selber anpflanzen und mit nach Hause nehmen.
Zu diesem Anlass vom Samstag, 4. Juli 2020, an der Pflanzschulstrasse 17, sind alle von 11 Uhr bis 16 Uhr herzlich eingeladen. Wir freuen uns über viel Besuch!