In der letzten Ausgabe des Sprachrohres haben wir eine Reihe von Beiträgen angekündigt, die sich mit interessanten Vergleichen zwischen der Pflanzenwelt und einem menschlichen Gemeinwesen auseinandersetzen. Der Winterthurer Mario Schaub möchte uns mit diesem Beitrag einen Zeigerwert – die sog. Feuchtezahl – näher bringen.

Damit eine Pflanze gedeiht, braucht sie einen nähreichen Boden, dem sie die erforderliche Feuchtigkeit entziehen kann. Auch ist es für sie entscheidend, welche anderen Pflanzen und Einflüsse in ihrer nächsten Umgebung mit ihr konkurrieren, sie in ihrem Wachstum unterstützen oder beeinträchtigen. Welchen Boden bietet uns Menschen im Vergleich dazu die Stadt Winterthur und welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, dass wir hier gedeihen? Was können wir säen und was ernten? Wer unterstützt uns in unserem Tun und wer oder was hindert uns, ein erfolgreiches Leben zu führen?

So wie unsere Zimmer- oder Balkonpflanzen nur gedeihen, wenn wir sie täglich pflegen, mit Wasser oder Dünger versorgen, sind auch wir Menschen auf die Fürsorge von Anderen angewiesen. Während es uns die Pflanzen mit ihrer Blütenpracht danken; können wir Menschen der Gemeinschaft etwas von unserer Arbeitskraft, unserem Wissen oder unserer Erfahrung zurückgeben. Es geht hier vor allem um das Prinzip des Gebens und Nehmens. Dabei ist es unwichtig, ob ich meine gesamte Zeit in dieser Stadt verbringe, oder ob ich mich hier nur kurz aufhalte und weiterziehe. Wichtig ist nur, was ich empfangen durfte und was ich meinerseits zum Wohl der Gemeinschaft beigetragen habe.

Wie bei einer Pflanze sind die Umweltbedingungen für das Gedeihen eines Gemeinwesens entscheidend. Ist der Nährboden günstig: das Klima moderat, das Land fruchtbar, die Menschen friedfertig und innovativ, so wird die Stadt prosperieren und etwas von ihrem Reichtum zum Aufbau der Umwelt beisteuern. Herrschen Missernten, Zwist, Seuchen und Krieg, so wird die Gemeinschaft im Elend versinken, so lange bis konstruktive Ideen die Lebenslage verbessern helfen.

Dank seiner Lage an einem wichtigen Kreuzungspunkt von Nord-Süd- und Ost-West-Achsen hat Winterthur seit jeher von Zolleinnahmen aus dem Warenverkehr, der Zuwanderung und einer aktiven Bevölkerung profitiert. Obwohl eine wechselvolle Geschichte und Seuchen (Plünderungen und wiederkehrende Pestepidemien zwischen 1349 – 1635) das Überleben regelmässig in Frage gestellt hatten, führten letztendlich kreative Ideen die Stadt zur Hochblüte. Denken wir in diesem Zusammenhang vor allem an die kulturellen Leistungen auf dem Gebiet der Literatur, der Musik oder Malerei (Gründung des Kunstvereins oder des Musikkollegiums durch H. Meyer). Zudem waren herausragende Persönlichkeiten wie J.Volkart, S.Sulzer, J.Rieter, C.Brown dafür verantwortlich, dass sich Winterthur seit Beginn des 19. Jahrhundert weitgehend zur erfolgreichen Handels- und Industriestadt entwickelt hat. Eine wichtige Voraussetzung dafür war nicht zuletzt ein aufgeklärtes Bürgertum, das dank demokratischem Gedankengut eine Blüte der Industrie sowie des Banken- und Handelswesens ermöglichte. Nicht zu vergessen sei, dass der allgemeine Wohlstand nebst der verkehrsgünstigen Lage auch auf einer wechselvollen Geschichte mit der Nachbarstadt Zürich gründet. Neben all den führenden Persönlichkeiten in Politik, Kultur und Wirtschaft gab es immer wieder sozial denkende Menschen, die sich um das Los der Benachteiligten kümmerten (H. von Hegi, J. Mötteli, Zunftspenden etc.) und so zum sozialen Frieden beitrugen.

Wer sich in diesem Zusammenhang weiter in die Geschichte Winterthurs vertiefen möchte, dem sei nochmals das Büchlein „Unsere Stadt“ von Mario Schaub empfohlen. Dort finden sich neben historischen Fakten auch eine Einführung in verborgene Analogien zwischen pflanzlichen und menschlichen Organisationsstrukturen.

Im nächsten Beitrag wird es um das Thema Reaktionszahl – feste Strukturen und persönliche Freiheiten – gehen.