armreich

November 2014: Diskussion in der Stadtbevölkerung

Der Stadtrat sieht aktuell keine Möglichkeit, weiterhin freiwillige Gemeindezuschüsse auszubezahlen. Was denken Sie, liebe Leser und Leserinnen, ist es richtig diese Beiträge zu streichen? Was sind denkbare Alternativen,  wie eine zeitweilige Steuererhöhung oder städtische Lohnkürzungen etwa? 

In Winterthur erhalten bedürftige AHV/IV-Rentenberechtigte zurzeit zusätzlich zu den Ergänzungsleistungen des Bundes und zu den Beihilfen des Kantons auch städtische Gemeindezuschüsse. Rund 2300 Personen beziehen diese Unterstützung; die Netto-Ausgaben zulasten der Stadt betrugen 2013 insgesamt 3,5 Millionen Franken. Gemeindezuschüsse werden ausgerichtet für den täglichen Lebensbedarf, als Mietzinszuschuss und zur Verbilligung von Bus-Abonnementen.

Angesichts der angespannten Finanzlage hat der Stadtrat von Winterthur entschieden, dem Grossen Gemeinderat die Abschaffung der Gemeindezuschüsse per 31. Dezember 2014 zu beantragen. Die Gemeindezuschüsse sind die einzigen Bedarfsleistungen, bei denen die Stadt Winterthur  einsparen kann, denn alle anderen individuellen Sozialausgaben sind von Bund und Kanton vorgeschrieben, liess die Stadtverwaltung kürzlich verlauten.

Die Streichung der Gemeindezuschüsse trifft vor allem Rentnerinnen und Rentner in Mietverhältnissen. Personen, die heute Anspruch auf Gemeindezuschüsse haben, werden nach deren Abschaffung im Durchschnitt monatlich 134 Franken weniger zur Verfügung haben! Aufgrund der finanziellen Lage der Stadt Winterthur sieht der Stadtrat jedoch keinen Spielraum, diese freiwilligen Leistungen auch in Zukunft finanzieren zu können.

Die Zahl der älteren Menschen, die Ergänzungsleistungen zu ihrer AHV/IV-Rente benötigen, nimmt in Winterthur stetig zu – jene der Millionäre im Kanton Zürich ebenfalls.

Die Anzahl Fälle von Zusatzleistungen zur AHV/IV stieg 2013 insgesamt um 2.7 %. Bei den Menschen mit einer Behinderung stiegen die Fallzahlen um 2.9 % (Vorjahr 3.7 %) und bei den Betagten um
2.6 %  gegenüber 4.1 % im letzten Jahr. Es fällt auf, dass sich die finanzielle Situation betagter Menschen trotz stark ausgebauter beruflicher Vorsorge verschlechtert hat.  Altersarmut hat verschiedene Ursachen: die Kündigung der Wohnung, ein Stellenverlust kurz vor der Pensionierung oder ein längerer Spitalaufenthalt bringen das schmale Budget älterer Menschen rasch aus dem Gleichgewicht. Weil sich Betroffene oft zurückziehen, bleibt Armut im Alter leider unsichtbar.

Unfassbar harte Massnahmen für Betroffene

Die Mattenbach- Anwohnerin, Frau Silvia Helbling, kam kürzlich mit ihrem Anliegen auf die SR-Redaktion zu. Sie ist IV-Rentnerin und aufgrund ihrer Erlebnisse und Erfahrungen ein sogenannter Härtefall, steuerlich benachteiligt und Opfer behördlicher Einstufungen, dies insbesondere seit sie mit ca. 55 Jahren  eine IV- Leistung bezieht.

Ein Leben lang hat Frau Helbling als alleinerziehende Mutter hart gearbeitet und trotzdem wurde sie letztendlich: „ insbesondere als Schweizerin gegenüber den meisten IV-Rentnern benachteiligt und dem Sozialhilfe Empfängern gleichgestellt“, so die Anwohnerin mit Tränen in den Augen.  Ich telefonierte ihr, um sie über die drohende Gemeindezuschuss-Kürzung zu befragen –  konkret bedeute dies für Sie Fr. 68.00 bis maximal Fr. 134.00 weniger pro Monat. Was sind schon 68 Franken? Für viele: sich beim  monatlichen Essensvorrat ein wenig einschränken; für einmal auf ein Abendessen im Restaurant verzichten;  sich ein wenig einschränken bei kleineren Verlockungen. Doch für die Anwohnerin Frau Silvia Helbling unfassbar viel mehr! Die Haare schneidet sie sich schon lange selber,  den Coiffeur  will und kann sie sich nicht leisten, geschweige sich in freizeitliche Aktivitäten stürzen und ist Nichtraucherin. Sie verzichtet darauf, um für Ihren Enkel ab und an etwas zu entbehren. Was tun wir, wenn die Einnahmen für solch bescheidene Annehmlichkeiten niemals ausreichen?  „Wir können ja ohnehin kaum überleben, das Budget reicht für das allernötigste im Leben, und im Allernötigsten sind Mobilität in Form von Bus-/ Bahnfahrten etc. nicht vorgesehen; Und ohne die Unterstützung von Freunden und Familie nicht zu schaffen“.
Aus Scham wollen viele Betroffene keine öffentliche Stellung nehmen, umso mehr möchten wir die Konsequenzen für Betroffene dieser Massnahme hervorheben. Betroffene Schweizer und Schweizerinnen, das gleiche gilt für AHV Bezüger, leben in kaum zumutbaren Verhältnissen, und ohne die Unterstützung durch Caritas, Pro Senectute, Pro Infirmis, kirchliche Institutionen etc., und nicht zuletzt die freiwilligen Gemeindezuschüsse an Mietzinsen oder Busbillette würde das Geld auch für das bescheidenste Budget nicht ausreichen.

Im Kanton Zürich ist jeder zehnte Mensch von Armut im Alter betroffen

Das landläufige Cliché der reichen Rentnerinnen und Rentner entspricht in keiner Weise der Realität, wie wir aus der Sozialberatung erfahren. Auch wenn der Anteil begüterter älterer Menschen im Kanton Zürich weiter zugenommen hat, ist der Anteil derer, die Ergänzungsleistungen (EL) in Anspruch nehmen müssen, stärker gewachsen als im gesamtschweizerischen Durchschnitt. In den letzten fünf Jahren hat sich die Anzahl von EL-Bezügern um 16% auf 25‘767 Personen erhöht. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den sieben Dienstleistungszentren von Pro Senectute Kanton Zürich: 2013 haben sich 9% mehr Ratsuchende an die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter gewandt als im Vorjahr, 60% davon mit finanziellen Anliegen. Pro Senectute, die sich weitgehend durch Spendengelder finanziert, hilft an ihren sieben Standorten im Kanton Zürich mit kostenlosen Beratungen, in besonderen Härtefällen auch mit finanzieller Hilfe.  Mit Ihrer Spende können auch sie dazu beitragen, dass Pro Senectute Kanton Zürich ihre Arbeit im Dienste älterer Menschen weiterführen kann: Postkonto 87-680192-1. Helfen Sie mit, Menschen ein Alter in Würde zu ermöglichen. Wir danken Ihnen auch im Namen der Sprachrohr Redaktion herzlich!