Plattenbau mit Grossstadtflair

In der Reihe der Winterthurer Bau-Geschichten des Heimatschutzes Winterthur ist im März 2022 der Band Utopie und Urbanität. Städtebau und Gesellschaft im Gutschick erschienen. Die beiden Autoren, der Historiker Miguel Garcia und Architekt Reto Westermann, leben beide seit Jahren im Kreis Mattenbach. Wir sprachen mit Miguel Garcia über den Grund zur Broschüre, die Zusammenarbeit und wo sie doch die eine oder andere Diskussion zu führen hatten.

Die Gutschick-Siedlung (vorne) und die Grüzefeld-Siedlung (hinten) in einer Luftaufnahme aus dem Jahr 1974. Bildnachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich)

Lieber Miguel, wie ist die Zusammenarbeit zwischen Reto und dir Zustande gekommen?
Reto und ich sind seit längerem gemeinsam für die Dokumentation des Winterthurer Jahrbuchs verantwortlich. Nachdem ich ebenfalls ins Eigenheimquartier gezogen bin, wo Reto schon länger wohnte, haben wir gemeinsam in der Reihe des Heimatschutzes eine Broschüre über die Geschichte des Geiselweidquartiers geschrieben.

Und wie kam es zur Wahl des Gutschicks als eigenes Thema?
Auslöser waren zum einen die Zeitungsartikel über das Gutschick: Sozialmonitoring, Islamismus, herumhängende Jugendliche. Zum anderen die architektur- und städtebaugeschichtliche Bedeutung des Quartiers. Das Gutschickquartier ist ein herausragendes Beispiel für ein Neubauquartier der Nachkriegsmoderne in Winterthur. Trotz seiner Bedeutung gab es bislang keine Publikation zum Quartier. Das wollten wir ändern.

Bau der Siedlung Grüzefeld im Jahr 1966. Rechts im Bild das neue Busdepot.
Bildnachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich)

Wer zeichnete für was verantwortlich?
Beim Band über das Gutschickquartier war die Aufteilung zeitlich, das heisst, Reto hat sich um die neueren Umbauten seit den 90er sowie die aktuellen Herausforderungen im Quartier mit Schwerpunkt auf die Bausubstanz und das Zusammenleben gekümmert. Das macht insofern Sinn, als dass er Architekt und Journalist ist und ich Historiker.

Gab es trotz der klaren Aufteilung ab und zu Uneinigkeiten oder inhaltliche Diskussionen?
Diskussionen gab es höchstens in Bezug auf den Umgang mit dem «Problemquartier»-Narrativ. Das ist einerseits ein Aufhänger und Auslöser für die Auseinandersetzung mit dem Gutschick und lässt sich auch in Zahlen fassen, soll aber andererseits auch kritisch angeschaut und gebrochen werden. Das war besonders in Bezug auf die Gegenwart manchmal eine Gratwanderung, bei der es auch um Feinheiten in den Formulierungen geht.

Wie zum Beispiel?
Ob man «Problem» oder «Herausforderung» schreibt.

Gab es etwas im Laufe der Arbeit, das dich überrascht hat?
Beeindruckend für mich war, wie die Aufbruchstimmung der 50er und 60er Jahren in den Zeitungsartikeln von damals fassbar ist. Gleichzeitig sieht man, dass ähnliche Diskussionen wie heute über das Zusammenleben und die Herausforderungen dabei schon seit den frühen 70ern geführt wurden. Was mir nicht so bewusst war, ist die herausragende städtebauliche und architektonische Bedeutung des Quartiers.

Was denn konkret?
Das beginnt mit dem Experimentieren bei den Bauformen und -techniken, hier Hochhäuser und Plattenbau, geht über den Bezug zur Gartenstadt mit dem Grüngürtel gegen Seen und den Aussenräume im Quartier und endet bei der Schlüsselrolle des Gutschicks für die Gründung des Stadtkreises Mattenbach.

Dieser Band könnte also das heutige Bild vom Quartier verändern, wenn nicht sogar verbessern?
Aus meiner Sicht als Historiker bestand sicherlich auch die Hoffnung, Aussagen aus der historischen Entwicklung in Bezug auf die Gegenwart abzuleiten. Zum Beispiel kann man sagen, dass schon früh ein grosses Engagement der Quartierbevölkerung vorhanden war. Das erklärt sich sicher auch aus der städtebaulichen Insellage des Quartiers, das auf die Eigeninitiative der Anwohnenden angewiesen ist. Ausserdem sieht man schon früh, dass die Innen- und die Aussensicht auf das Quartier gerade in Bezug auf die Herausforderungen im Umgang und im Zusammenleben in der grossmassstäblichen Neubausiedlung unterschiedlich sein können. Ich hoffe auch, dass die Aufbruchstimmung, aus der das Quartier entstanden ist, besser verstanden wird, und dadurch vielleicht auch mehr Wertschätzung für die Besonderheiten und Qualitäten des Gutschicks entstehen.

«Utopie und Urbanität:
Städtebau und Gesellschaft im Gutschick»
von Miguel Garcia und Reto Westermann mit einem Beitrag von Roger Strub (39 Seiten,
15 Franken) ist beim Heimatschutz Winterthur sowie in der Buchhandlung Obergass erhältlich.